Im Rückspiegel: Von Montreal hinaus in die Welt
Der Anruf aus Montreal kam überraschend für die Geschäftsführung von Alfa Romeo. Die Organisatoren der Weltausstellung 1967 vom 27. April bis 29. Oktober in der kanadischen Stadt wollten, passend zur zukunftsorientierten Auslegung der Expo, das Thema „Der Mensch und seine Welt“ in unterschiedlichsten Bereichen beleuchten. Einer davon widmete sich unter dem Titel „Man the Producer“ industriell gefertigten Produkten, darunter auch dem Automobil. Die Veranstalter luden Alfa Romeo ein, stellvertretend für die gesamte Branche ein entsprechendes Konzeptfahrzeug zur Verfügung zu stellen.Konzeptfahrzeug von Alfa Romeo für die Weltausstellung 1967 in Montreal. Foto: Auto-Medienportal.Net/Alfa Romeo
Mit der stilistischen Umsetzung wurde das Designstudio
Bertone beauftragt. In der renommierten Carrozzeria ging damals gerade
der Stern von Marcello Gandini auf. Der Turiner war zu diesem Zeitpunkt
noch keine 30 Jahre alt, hatte mit dem Lamborghini Miura aber gerade für
weltweite Begeisterung gesorgt und zeichnete später noch Automobile wie
den Lancia Stratos und den Fiat 132. Für das Expo-Showcar entwarf er
eine Coupé-Karosserie mit einzigartigen Details. Dazu zählen die optisch
zu einer Einheit verschmolzene B-/C-Säule und die halb von einem
Lamellengitter bedeckten Doppel-Scheinwerfer.
Mit nur 4,22 Metern Länge wurde das Fahrzeug äußerst kompakt, hinter
Fahrer und Beifahrer blieb nur noch Platz für zwei Notsitze. Markante
Lufteinlässe hinter den Türen und eine große, gläserne Heckklappe
deuteten an, welches Antriebskonzept sich Gandini vorstellte: einen
Mittelmotor. Doch so weit war es zunächst noch nicht. Aus Zeitgründen
verwendete Alfa Romeo für die die beiden schließlich nach Kanada
gebrachten Ausstellungsfahrzeuge die Bodengruppe des Giulia – inklusive
des Frontmotors. Damit waren die Autos sogar fahrfähig.
Auf dem Gelände der Weltausstellung wurden die Konzeptfahrzeuge so
zwischen Spiegeln platziert, dass sie optisch bis ins Unendliche
vervielfacht wirkten. Die Reaktion der täglich bis zu 500.000 Besucher
der Weltausstellung fiel begeistert aus. So erhielten die zunächst noch
unbenannten, weiß lackierten Prototypen die inoffizielle Bezeichnung
Montreal. Und mit jedem Tag der sechsmonatigen Ausstellung erhielt Alfa
Romeo mehr Anfragen aus Nordamerika und dem Rest der Welt, das Auto auch
auf den Markt zu bringen.
Tatsächlich bekommt die Entwicklungsabteilung den Auftrag, Projekt
„Montreal“ in die Tat umzusetzen. Mit Blick auf die Produktionskosten
erarbeiteten die Ingenieure einen Kompromiss. Das Chassis blieb
weitgehend auf dem Stand des Giulia. Marcello Gandinis Karosseriedesign
wurde nur in Details geändert, in denen das Konzeptfahrzeug mit den
Anforderungen von Serienfertigung oder Straßenzulassung nicht zu
vereinbaren war. So blieb der – leicht geänderte – Grill über den
Scheinwerfern zwar prinzipiell erhalten, beim Einschalten des Lichts
wurden die beiden Lamellen aber mechanisch nach unten geklappt und gaben
die vier Lampen komplett frei. Die für einen Mittelmotor gedachten
Luftschlitze in den Flanken wurden ebenfalls übernommen, dienten nun
allerdings der Entlüftung des Cockpits. Dort nahmen Fahrer und Beifahrer
auf komfortablen Sitzen Platz. Eine Vielzahl von Instrumenten war zu
einem futuristisch anmutenden Ensemble angeordnet.
Beim Antrieb hingegen ging Alfa Romeo aufs Ganze. Damit die
Fahrleistungen der Optik nicht nachstanden, entwickelten die Ingenieure
eine straßentaugliche Version des V8-Motors aus dem Supersportwagen Tipo
33. Die Ölversorgung mittels Trockensumpfschmierung und die Bauweise in
Aluminium blieben erhalten. Um eine alltagstaugliche Kraftentfaltung zu
erreichen, wurde der Hubraum von zwei auf knapp 2,6 Liter erhöht.
Außerdem erhielt der Achtzylinder mit seiner Maximaldrehzahl von 7000
Umdrehungen in der Minute ein mechanisches Einspritzsystem. Das sorgte
für 200 PS (147 kW) bei 6400 Touren und einen kernigen Sound.
Die Kraftübertragung auf die mit einem Sperrdifferenzial versehene
Hinterachse übernahm ein Fünf-Gang-Sportgetriebe von ZF, das sich durch
knackig kurze Schaltwegen und den links hinten liegenden ersten Gang
auszeichnete. Diese Anordnung hat ihre Wurzeln im Motorsport, wo der
erste Gang nur zum Anfahren und der Rückwärtsgang fast nie benötigt
werden, die höheren Schaltstufen damit ergonomisch günstiger in der
mittleren und rechten Ebene angeordnet werden können. Ungewöhnlich für
heutige Verhältnisse ist auch die Reifengröße: Es waren lediglich 14
Zoll.
Im Frühjahr 1970 feierte der Alfa Romeo Montreal dann auf dem Internationalen Automobilsalon in Genf seine Publikumspremiere. Die Fachpresse bescheinigte dem Coupé das überlegene Fahrverhalten eines Gran Turismo für die Langstrecke. Dafür sprachen nicht nur die Höchstgeschwindigkeit von rund 220 km/h und das komfortable Fahrwerk. Zeitgenössische Messungen ergeben einen Wert von 7,6 Sekunden für die Beschleunigung aus dem Stand auf Tempo 100.
Gefertigt wurde der Alfa Romeo Montreal in Kooperation zwischen dem Werk
Arese und der Carrozzeria Bertone. Bis 1977 werden nur 3925 Exemplare
des rund 35.000 D-Mark (1975) teuren Sportwagens gebaut.
Text: ampnet/jri
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