Im Rückspiegel: Schon im Mai 1945 Volkswagen Jeeps fürs US-Militär
Am 11. April 1945 befreien US-Truppen das Volkswagenwerk und die „Stadt des KdF-Wagens“, das spätere Wolfsburg. Im Volkswagenwerk erleben rund 7700 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ihre Befreiung. In den acht folgenden Wochen treffen die Amerikaner wegweisende Entscheidungen für die Zukunft der Menschen, der Stadt und des Werks. Bereits im Mai werden wieder Fahrzeuge gebaut – die nun „Volkswagen Jeeps“ genannten Kübelwagen für das US-Militär. Die amerikanische Besatzung endet Anfang Juni 1945, als die Region Teil der britischen Besatzungszone wird.US-Truppen am Bahnhof von Wolfsburg mit dem Kraftwerk des Volkswagenwerks im Hintergrund. Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen
Am 10. April werden im Volkswagenwerk die letzten 50 für die deutsche
Wehrmacht vorgesehenen Kübelwagen (Typ 82) fertiggestellt. Panzeralarm
kündigt die heranrückenden US-Truppen an. Im Werk, das 1944 durch
Luftangriffe zu großen Teilen zerstört wurde, endet die Kriegsproduktion
nach 66.285 Fahrzeugen.
Befreiung und Besatzung in zwei Etappen
Am 11. April 1945 befreien US-Truppen das Werk und die Stadt am Mittellandkanal. Der Kampfverband rollt von Fallersleben den Kanal entlang und durch die Stadt hindurch zur Brücke in Heßlingen, ohne auf militärischen Widerstand zu treffen. Die Amerikaner ziehen noch am gleichen Tag weiter in Richtung Salzwedel zur Elbe, die sie vor der sowjetischen Roten Armee erreichen wollen. Dabei lassen sie das Werk und die Stadt zurück. Sie waren auf ihren Karten gar nicht verzeichnet.
So entsteht am Mittellandkanal vorübergehend ein Machtvakuum: Nachdem
zuvor die SS und der Werkschutz abgezogen oder vor den US-Truppen
geflüchtet sind und der Volkssturm aufgelöst ist, sehen Zwangsarbeiter
und Kriegsgefangene das Ende ihrer Leidenszeit gekommen. Sie haben
Hunger und ihre Wut über das ihnen angetane Leid und Unrecht entlädt
sich. Es kommt zu ersten Plünderungen, Zerstörungen und
Gewalttätigkeiten. Aus Reihen der Zwangsarbeiter bildet sich ein
Ordnungsdienst, darunter sind auch französische Kriegsgefangene und zum
Arbeitsdienst gezwungene niederländische Studenten. Sie erbeuten Waffen
und Fahrzeuge im Werk und nutzen die Feuerwache als Hauptquartier.
Der Leiter des Kraftwerks, Fritz Kuntze, hat sich dem Befehl des
Gauleiters, Brücken und Kraftwerk zu sprengen, widersetzt. Nun will der
Deutsch-Amerikaner verhindern, dass das für die Energieversorgung
lebensnotwendige Kraftwerk durch Sabotage Schaden nimmt. Kuntze fährt
mit zwei ebenfalls englischsprachigen Ingenieuren und dem katholischen
Prälaten Antonius Holling zu den in Fallersleben verbliebenen
US-Einheiten. Sie überzeugen die GIs, militärische Stärke zu zeigen: Am
15. April besetzen die Amerikaner Werk und Stadt, entwaffnen den selbst
ernannten Ordnungsdienst und übernehmen die Verwaltung. Nach und nach
treffen auch die Stäbe der 9. US-Armee ein.
Die Menschen
Rund 20.000 Frauen und Männer leisten während der NS-Diktatur bei der Volkswagenwerk GmbH Zwangsarbeit, davon etwa 5000 KZ-Häftlinge. Im Jahr 1944 arbeiten zwei Drittel der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen ihren Willen, unter Zwang und rassistischer Willkür im Werk, darunter sind jüdische Frauen und Männer, Kriegsgefangene, Dienstverpflichtete, Deportierte und Verschleppte aus Ländern Europas, die von der deutschen Wehrmacht besetzt sind. Am Tag der Befreiung arbeiten im Volkswagenwerk etwa 9100 Frauen und Männer. Von ihnen sind mehr als 7700 ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Die 3000 Ostarbeiter aus der Sowjetunion, vor allem Ukrainer, bilden die größte Gruppe.
Die Amerikaner richten Wolfsburg als Sammelpunkt für alle „displaced
persons“ im Landkreis Gifhorn ein und organisieren deren Repatriierung.
So starten im April und Mai 1945 am Bahnhof die ersten Züge, zumeist mit
offenen Güterwaggons, in die Heimatländer der ehemaligen
Zwangsarbeiter. Für einige gehen Demütigungen und Verfolgung in ihrer
Heimat weiter, wo sie oft als mutmaßliche Deserteure oder Kollaborateure
der Deutschen angefeindet werden.
Die Stadt
Der „Stadt des KdF-Wagens“ geben die US-Militärs mit der Einsetzung eines Magistrats und einer Stadtverordnetenversammlung erste demokratische Strukturen. Bei ihrer ersten Sitzung am 25. Mai 1945 beschließen die Stadtverordneten, ihre Stadt in Wolfsburg umzubenennen. Sie folgen damit dem Vorschlag des Magistrats. Das erstmals 1302 urkundlich erwähnte Schloss im Nordosten gibt nun der jungen Stadt seinen traditionsreichen Namen.Das Werk
Die amerikanischen Befreier richten im Volkswagenwerk einen Reparaturbetrieb für ihre eigenen Militärfahrzeuge ein. Sie stoßen im Werk und der Umgebung auf Bauteile und Lagerbestände und erkennen das Potenzial des Werks für die Fahrzeugfertigung. Noch im Mai 1945 meldet das Hauptquartier der 9. US-Armee die Aufnahme der Montage von „Volkswagen Jeeps“ im Volkswagenwerk mit rund 200 Beschäftigten. Als Werkleiter setzen die Amerikaner Rudolf Brörmann, zuvor Leiter der Inspektion, ein.
133 Nachkriegs-Kübelwagen werden unter provisorischen Bedingungen für
die Mobilität der US-Truppen gefertigt. Sie stehen für die
Wiederaufnahme der Produktion und leiten den Umbau der Rüstungsfabrik
zur zivilen Fahrzeugfabrik ein.
Daran knüpfen die Briten im Juni 1945 an, als sie in ihre Besatzungszone
eintreten und die Verantwortung für Stadt und Volkswagenwerk von den
Amerikanern übernehmen. Ebenfalls unter herausfordernden Bedingungen
starten sie gleich nach Weihnachten 1945 die zivile Serienfertigung des
Volkswagen Typ 1, des Käfers.
Zeitzeugen erinnern sich
Sara Frenkel-Bass (Jahrgang 1922, lebt in Antwerpen), die polnische Jüdin arbeitet als katholische Krankenschwester getarnt von März 1943 bis April 1945 im Barackenkrankenhaus: „Man hat keine Wurzeln. Man sucht das, was verloren gegangen ist. Doch es kommt nicht wieder. Es ist alles nicht mehr da.“
Henk ‘t Hoen (1922 – 2006), der niederländische Student ist von Mai 1943
bis April 1945 im erzwungenen Arbeitseinsatz im Volkswagenwerk: „Als
die ersten amerikanischen Truppen über das angrenzende Fallersleben
eintrafen, suchten wir Studenten unverzüglich Kontakt zu ihnen. Die
Studenten hatten zusammen mit einigen ehemaligen französischen
Kriegsgefangenen einen Ordnungsdienst aufgebaut, um die eskalierende
Situation zu beruhigen. Der Ordnungsdienst hatte sich in der Fabrik
Waffen und Kübelwagen besorgt und nutzte die Feuerwache als
Hauptquartier. Da die amerikanischen Truppen […] von Fallersleben direkt
weiter bis zur Elbe zogen und daher zunächst die ‚Stadt des KdF-Wagens‘
unbeachtet liegen ließen, mussten die Leute vom Ordnungsdienst noch
einige Zeit überbrücken bis Besatzungstruppen kamen. Mit einiger
Überredungskunst gelang es letztendlich, einige amerikanische Panzer
durch die Stadt fahren zu lassen. Der Ordnungsdienst fuhr mit einem
Kübelwagen vorweg und verlieh damit dem Ausgehverbot, das er zuvor
verhängt hatte, einigen Nachdruck. Kurz darauf richtete die
US-Militärregierung eine Stadtkommandantur ein, und es erging der
Befehl, alle Waffen abzuliefern. Daraufhin löste sich der Ordnungsdienst
auf. Einige Studenten, die den ersten Kontakt zu den amerikanischen
Truppen hergestellt hatten, verschwanden kurz darauf auf eigene Faust in
die Niederlande. Die offiziellen Transporte erfolgten erst später.“
Jean Baudet (Jahrgang 1922, lebt in Nizza), französischer Zwangsarbeiter
von Juli 1943 bis April 1945, erlebt die Befreiung in einem
Verlagerungsbetrieb mit dem Tarnnamen Kaffee in Neindorf, etwa 10
Kilometer südlich des Werks: „Sonntag, 8. April – Die Front rückt näher.
Ein Gerücht jagt das nächste. Bei Gifhorn steigen Rauchsäulen auf.
Vermutlich Sabotage der Erdölpumpen. Luftkämpfe. Auf den Straßen ein
Gewimmel von Wagen, Lkws und Soldaten auf Fahrrädern. Mein
Tiroler-Rucksack ist startklar. Nur das Nötigste an Kleidung, aber
Vorräte wie Fleischkonserven, Milch, Fett, Zucker, ein paar Kekse. Egal
was passiert, ich will bereit sein, um während, vor oder nach den
Kämpfen nach Hause aufbrechen zu können.
10. April – Strahlendes Wetter. Den ganzen Tag hört man die Geschütze.
Alle Deutschen sind betrunken. Kolonnen von Soldaten ohne Gewehr und
Verwundete ziehen vorbei. Ein wildes Chaos. Wann ist es soweit?
10. April – Abends: Artilleriebeschuss in der Nähe. Beeindruckend. Die
ganze Nacht weiterhin Bomben auf Braunschweig. Ständig ziehen Truppen
vorbei.
11. April – 9.00: Amerikanische Jagdbomber über den Baumwipfeln. Man
hört, KdF sei besetzt. Hier sind sie inzwischen bis Barnstorf
vorgedrungen. Das liegt hinterm Wald. Wir packen singend unsere Sachen
fertig. Deutlich hört man Maschinengewehrsalven. Sie müssen jeden Moment
hier sein. Die Granateneinschläge kommen immer näher.
11. April – Nachmittags: Totale Stille. Strahlendes Wetter. Die Zeit des
Friedens ist zurückgekehrt. Nur von Zeit zu Zeit schwere Explosionen.
Die Autobahnbrücken werden gesprengt. Um 14.00 Uhr bekommen wir von
Bauern Specksuppe und ein Stück Brot. Wir verstehen nicht, was in sie
gefahren ist. Um 15.00 Uhr gibt es Großalarm. Wir müssen evakuieren.
Also, „auf zum Gefecht“. Ich beschließe, mich mit Georges Chauvineau im
Gebüsch zu verstecken, aber Gewehrschüsse im Wald geben uns zu denken.
15.30 Uhr. Gegenbefehl. Allgemeine Freude: Wir bleiben. Sofort werden
die Zigaretten und der Fußball herausgeholt. Abend und Nacht sind ruhig.
12. April – Der Himmel ist bedeckt. Alles ist ruhig. Ist der Krieg aus?
Wo sind sie? Was tun sie? 12.00 Uhr. 5-Minuten-Alarm, Wiederaufflammen
der Kämpfe von allen Seiten gleichzeitig. Wir sind eingekesselt.
Kanonen, Bomben, Panzerfäuste, Maschinengewehre, alles gleichzeitig. Sie
kommen! Sie kommen! 14.00 Uhr. Die Bauern tauchen wieder auf und
bringen uns säckeweise Kartoffeln, das ist der Gipfel! 15.00 Uhr. Sie
sind da!! Sie sind da!!“
Text: ampnet/Sm
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