Oldtimer und Korrosionsschutz: Körperpflege für eine Diva
Wäre Deutschland momentan nicht im Corona-Ausnahmezustand würden mit den ersten Sonnenstrahlen die automobilen Schätzchen aus ihrem Winterschlaf geholt werden, Oldtimer, die das Auge des Betrachters erfreuen. Sie erregen Aufmerksamkeit und lassen manches Herz höher schlagen. Wie eine Diva stehen auch Oldtimer rasch im Mittelpunkt des Interesses. Damit das begehrte Altmetall auf Rädern Freude bringt, muss es allerdings zuerst in Schuss gebracht werden, am besten vom Fachmann.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
Die richtige Restaurierung der Veteranen hat ihren Preis. Eine
vollständige, professionelle Restaurierung kann schon mal im
fünfstelligen Bereich liegen – je nach Zustand des Oldtimers und
Zeitaufwand. Wer das alles investiert, will nicht schon bald wieder von
vorn beginnen, weil sich der Rost wiedermeldet. Kathodische
Tauchlackierung (KTL) als Korrosionsschutz für Oldtimer-Karosserien gibt
es mittlerweile einige auf dem Markt. „Doch sie haben Schwächen, die
sich manchmal erst nach vielen Jahren zeigen“, warnt Bernhard Schad,
Inhaber der Schad Originale in Bad Vilbel. Die bisher wirksamste
Methode, dem Rost den Gar aus zu machen sei jene KTL, die bei dem
Restaurations-Spezialisten Oldtimer-Ro-Dip-Verfahren genannt wird und
ausschließlich bei Vollrestaurationen verwendet wird.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
Das bedeutet, dass die metallisch blanke Karosserie, die an vier Haken
an einem Förderband befestigt ist, in mehrere Tauchbecken hintereinander
eingetaucht wird. Die Flüssigkeit eines der Tauchbeckens steht dabei
unter Strom. Der Strom bewirkt eine besondere Haftung des
Korrosionsschutzes an der Karosserie. Die in den Tauchbecken
aufgetragene Beschichtung wird in einem Ofen bei über 200 Grad rund eine
Stunde eingebrannt.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
Die starre Befestigung der Oldtimer-Karosse ist bei den derzeit üblichen
KTL-Beschichtungen eine Problemzone, da sich während des Eintauchens in
die Tauchbecken Luftblasen bilden. „Zum Entweichen der Luft werden zwar
viele Löcher in die Karosserie gebohrt, jedoch ist es durch die endlos
verzweigten Hohlräume und Wölbungen einer Karosserie nicht möglich, alle
Stellen zuverlässig zu erreichen. Man müsste den Wagen wie einen
Schweizer Käse durchlöchern, um dies auch nur annähernd zu
gewährleisten“, so Schad. Und genau hier liegt das Problem, denn dort,
wo die Luftblasen nicht vollständig entweichen können, haftet der
Korrosionsschutz nicht, was fatale Folgen hat.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
Die anschließende Endoskopie zur Qualitätsprüfung bringt diese Stellen
nur zum Teil zum Vorschein, da es sich hier um winzige Nischen handeln
kann, die nur schwer einsehbar sind. Im Endergebnis kann das zur Folge
haben, dass in den Hohlräumen einer Autokarosserie viele kleine Stellen
nicht beschichtet wurden. „Diese Schwierigkeiten gab es auch vor
Jahrzehnten in den Anfängen der KTL für Neuwagenkarosserien. Die
Industrie hat damals das Rotationsverfahren entwickelt. Die
Neuwagen-Karosserie rotiert in jedem Tauchbecken mehrfach um die eigene
Achse. Dadurch entweicht auch die kleinste Luftblase aus der letzten
versteckten Ecke.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
Genau diese Technik hat Schad jetzt auf die Oldtimerkarosserien
übertragen. „Mit der Entwicklung einer Konstruktion zum automatischen
Rotieren der Oldtimer-Karosserien in den KTL-Becken habe ich das Problem
gelöst“, sagt er. Der Unterschied zur Neuwagenmethode besteht in der
Drehrichtung. Bei den Neuwagen werden die Fahrzeuge über die Querachse
gedreht. Das Rotationsverfahren von Schad erfolgt über die Längsachse.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
In jedem Tauchbecken muss die Oldtimer-Karosserie, die wie ein Hähnchen
am Bratspieß auf einem Drehgestell montiert ist, zehn bis 15 Mal
beidseitig gedreht werden. Nach dem Verlassen jedes einzelnen Beckens
kommt wieder das Drehgestell mehrfach zum Einsatz. Die Karosserie
durchläuft bis zu elf Tauchgänge. Das dauert rund einen Tag.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
Vom Reinigungs- und Entfettungsbecken geht es in ein Phosphatbecken und
danach über ein Aktivierungsbecken zum erneuten Spülen und Reinigen mit
entmineralisiertem Wasser, bevor die eigentliche
KTL-Tauchlackierungs-Station mit Wasser und wasserlöslicher Farbe
angefahren wird. Die Flüssigkeit des Beckens steht permanent unter Strom
zur kathodische Tauchlackierung. Zwischen den Blechen, Schweißnähte,
Falze und an anderen Verbindungen wie Knotenblechen usw. wird die
Beschichtung in die letzte Pore gezogen und es kann kein Rost mehr
aufkeimen.
Mit einem Mercedes-Benz 300 SEL 4,5 Liter aus dem Jahr 1972 durchs Tauchbad. Bernhard Schad gefällt das Ergebnis. Foto: Auto-Medienportal.Net/Schad
Was sich jetzt simpel beschreiben lässt, war nicht einfach umzusetzen.
Aus dem gedacht einfachen Gestell wurde ein kompliziertes und
umfangreiches Projekt. Schad brauchte von der Idee bis zur Patentreife
mehr als ein Jahrzehnt.
Text: ampnet/uk
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